„AUF DEN FRIEDHÖFEN IST VIEL LEBEN“

Gespräch mit Bischof Volodmyr Hruza CSsR (Lemberg/Ukraine) über die Situation in der Ukraine. DANKE FÜR IHRE SOLIDARITÄT!

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Wie wirkt sich der Krieg auf den Alltag in Lemberg, das ja nicht einmal 100 Kilometer entfernt von der Grenze zu Polen liegt, aus? Worunter leiden die Menschen am meisten?

Bischof Hruza: Inzwischen gibt es keinen sicheren Ort mehr in der Ukraine. Auch nicht im Westen, selbst wenn es dort etwas ruhiger ist. Man weiß nie, wann und wo die nächsten Raketen einschlagen. Zuletzt hatten wir ein paar Wochen mal keinen Alarm. Aber beim Zubettgehen fragt man sich automatisch immer: Wie wird wohl die Nacht werden? Mit dieser Angst schlafen die Menschen ein, vor allem auch die Kinder, die ja zum Teil überhaupt nicht verstehen, was da passiert, und deren Eltern immer so voller Sorge sind. Wie oft wurden sie nachts schon aus dem Schlaf gerissen, um in einen der Schutzbunker zu flüchten, als die übrigens auch unsere Kirchen dienen. Trotzdem versuchen wir, unseren Alltag so normal wie möglich zu leben. Die Bewohner von Lviv/Lemberg gehen zur Arbeit, es finden Kulturveranstaltungen statt. Schließlich ist diese Ablenkung wichtig und bedeutet auch Stärkung. Aber natürlich hört damit das Leid nicht auf.

Das Schlimmste ist, wenn die Gefallenen von der Front zurückkehren. Und dann die Tatsache, dass viele Menschen Angehörige an der Front haben und um sie bangen. Besonders furchtbar ist auch, wenn jemand vermisst wird. Das ist kaum zu verarbeiten. Denn diese Ungewissheit, ob der Vermisste tot ist oder irgendwo in Haft sitzt, zermürbt und führt die Familien an den Rand totaler Erschöpfung.

Auch ich habe Mitbrüder in meinem Orden der Redemptoristen, die im Süden des Landes verschleppt wurden. Dass wir schon so lange keine Nachricht mehr von ihnen haben und wir absolut nichts von ihnen wissen, ist das Schlimmste. Uns bleibt nur, immer wieder für sie zu beten.

In vielen Familien fehlen die Väter und Brüder, die an der Front kämpfen. Manche kommen nie mehr nach Hause. Haben Sie angesichts dieser unfassbaren Trauer für die Angehörigen überhaupt noch Worte des Trostes?

Bischof Hruza: Ich bezweifle, dass es vieler Worte bedarf. Meine Aufgabe als Seelsorger sehe ich darin, eine Perspektive aufzuzeigen, dass es eines Tages Heilung geben kann. Wir sollten nicht in Zorn und Hass verharren – das kostet ungemein viel Kraft, die stattdessen zum Weiterkämpfen benötigt wird. Hass macht den Schmerz eher noch größer. Wir müssen unsere ganze Energie in Mut verwandeln. Dabei versuche ich zu helfen. Wir weinen mit den Weinenden und trauern mit den Trauernden. Das ist Seelsorge. Der Krieg hat uns gelehrt, uns dem, was dran ist, anzupassen, flexibel zu sein. Was gestern noch als sicher galt, ist heute obsolet. In Lviv haben wir eine Garnisonkirche, weil bei uns die Militärseelsorge angesiedelt ist. Und täglich halten unsere jungen Militärkapläne die Beerdigungen der Soldaten – oft von Gleichaltrigen – ab. Das heißt, auch sie brauchen einen Halt, Supervision, den Austausch mit anderen Seelsorgern, weil das ja etwas mit ihnen macht, an die Substanz geht. Solche Beerdigungen kann man nicht unter Routine abhaken, das sind zutiefst existenzielle Erlebnisse.

BITTE HELFEN SIE WEITER MIT EINER SPENDE – FÜR HUMANITÄRE HILFE IN DER UKRAINE! Opferstock in der Kirche oder per Überweisung! Wir leiten die Spenden an Bischof Volodymyr (in Lemberg) weiter! VERGELT’S GOTT!

BILDER: Bischof Volodmyr Hruza; Tafel mit den Gefallenen in der Ukraine.

Auszug aus Interview mit dem Domradio Köln-7.11.2023

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